Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) spielt eine zentrale Rolle im deutschen Arbeitsrecht. Sie dient als offizieller Nachweis der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit und bildet die Grundlage für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Doch ist ihre Beweiskraft unantastbar, oder gibt es Situationen, in denen ihre Glaubwürdigkeit infrage gestellt werden kann?

Rechtsrahmen und Bedeutung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Gemäß dem Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG) sind Arbeitnehmer verpflichtet, dem Arbeitgeber eine AU vorzulegen, um ihren Lohnanspruch während einer Erkrankung zu sichern. Die AU entbindet jedoch nicht von der Pflicht zur Anzeige der Arbeitsunfähigkeit. Auch telemedizinische Krankschreibungen, die seit dem 18. Dezember 2023 bis zu sieben Tage möglich sind, stellen formell anerkannte Beweismittel dar.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat die Beweiskraft von AU-Bescheinigungen in mehreren Urteilen bestätigt. Eine ordnungsgemäße AU wird grundsätzlich als Nachweis akzeptiert, es sei denn, es gibt berechtigte Zweifel an ihrer Echtheit.

Wann kann eine AU angezweifelt werden?

In bestimmten Konstellationen können Arbeitgeber die Beweiskraft einer AU in Zweifel ziehen. Beispielsweise kann eine AU kritisch hinterfragt werden, wenn:

  • Die Krankschreibung exakt mit der Kündigungsfrist übereinstimmt.
  • Die Erkrankung auffallend oft an bestimmten Wochentagen oder nach Urlaubsantritten eintritt.
  • Ein Arbeitnehmer seine Erkrankung im Vorfeld ankündigt.
  • Die Krankschreibung durch einen Arzt erfolgt, der für auffallend leichte Attestierungen bekannt ist.

Das BAG entschied am 8. September 2021 (5 AZR 149/21), dass eine AU ihren Beweiswert verlieren kann, wenn der Arbeitgeber Indizien vorlegt, die ernsthafte Zweifel an der Glaubwürdigkeit begründen. In solchen Fällen muss der Arbeitnehmer darlegen, dass er tatsächlich arbeitsunfähig war.

Rechtsprechung und aktuelle Entwicklungen

Ein wegweisendes Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 8. März 2023 betont die Bedeutung der AU als Beweismittel. In dem verhandelten Fall zweifelte der Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit eines Mitarbeiters an, da dieser nach seiner Krankschreibung eine neue Stelle antrat. Mangels ausreichender Beweise wurde die Klage des Arbeitgebers jedoch abgewiesen. Dies verdeutlicht, dass eine AU grundsätzlich hohen Beweiswert hat und nur unter bestimmten Umständen erschüttert werden kann.

Praktische Empfehlungen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber

Für Arbeitnehmer:

  • Melden Sie Ihre Arbeitsunfähigkeit umgehend und reichen Sie die AU fristgerecht ein.
  • Achten Sie auf eine vollständige und korrekte Dokumentation Ihrer Krankheitsverläufe.
  • Falls Zweifel an Ihrer AU geäußert werden, sollten Sie bereit sein, weitergehende Nachweise zu erbringen.

Für Arbeitgeber:

  • Prüfen Sie AU-Bescheinigungen im Einzelfall, insbesondere bei wiederholten kurzfristigen Krankmeldungen.
  • Fordern Sie, falls notwendig, eine Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen.
  • Dokumentieren Sie Auffälligkeiten und bereiten Sie eine fundierte Argumentation vor, wenn Zweifel an der AU bestehen.

Fazit

Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genießt in Deutschland eine hohe rechtliche Anerkennung und ist in der Regel ein belastbares Beweismittel für die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit. Dennoch gibt es Konstellationen, in denen Zweifel berechtigt sind und der Beweiswert erschüttert werden kann. Arbeitnehmer sollten sorgfältig auf eine korrekte Handhabung ihrer Krankschreibungen achten, während Arbeitgeber bei begründeten Zweifeln rechtlich zulässige Schritte zur Prüfung einer AU-Bescheinigung einleiten können. Eine ausgewogene Betrachtung und ein fundiertes Vorgehen sind in solchen Fällen entscheidend, um arbeitsrechtliche Konflikte zu vermeiden.

Sollten Sie Fragen oder Anregungen haben, können Sie sich gerne an unsere Rechtsanwaltskanzlei in Leipzig, Böhlitz-Ehrenberg/Leutzsch wenden.


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